In Argentinien arbeiten viele Transsexuelle in der Prostitution. Eine Schule holt die Menschen vom Straßenstrich, um ihnen so zu anderen Jobs zu verhelfen. Doch die Erfolgsquote ist bislang gering: Viele Arbeitgeber haben Angst, dass Transsexuelle ihre Kunden verschrecken.

Buenos Aires (dpa) – Eine hochgewachsene Blondine in Stöckelschuhen und pinkem Top frisiert einer Freundin die lila gefärbten Haare mit einem Glätteeisen. Ein Grüppchen lümmelt auf einem abgewetzten Sofa herum, raucht und benutzt eine alte Thunfischdose als Aschenbecher.

Zwei Schülerinnen in einem Klassenraum der Abendschule "Mocha Celis".
Zwei Schülerinnen in einem Klassenraum der Abendschule „Mocha Celis“.

Die Atmosphäre im Pausenraum der Abendschule „Mocha Celis“, im fünften Stock eines renovierungsbedürftigen Gebäudes neben dem Bahnhof Federico Lacroze in Buenos Aires, erinnert eher an ein Jugendzentrum als an ein Bildungsinstitut, in dem Erwachsene ihren Abschluss nachholen. Die in die Jahre gekommenen Tapeten sind mit Postern geschmückt: „Mein Geschlecht und meine sexuelle Identität bestimmen nicht meine Fähigkeiten“, steht auf einem geschrieben.Bei den Schülerinnen und Schülern handelt es sich vor allem um transsexuelle Frauen und Männer sowie Transgender, die ihr Geld auf dem Strich verdienen. Angeblich 70 Prozent der Transsexuellen, Transgender und Transvestiten in Argentinien arbeiten in der Prostitution – zumindest ergab das eine Umfrage des Statistischen Amts (INDEC) und des Nationalen Instituts gegen Diskriminierung (INADI) im Jahr 2012. Die Lebenserwartung innerhalb der Gemeinschaft gilt als niedrig.Mocha Celis, die Namensgeberin der Schule, wurde 1995 auf dem Straßenstrich erschossen. Sie starb als Analphabetin. Laut Institutsleiter Francisco Quiñones ist „Mocha Celis“ die erste Trans-Schule weltweit. „Die ursprüngliche Idee war, Transsexuellen einen Ausweg aus dem Rotlichtmilieu zu bieten“, erklärt Quiñones.

„Aus Geldnot nie die Schule abgeschlossen“

Mittlerweile seien unter den 107 eingeschriebenen Schülern auch Migranten, alleinerziehende Frauen, Afro-Indigene und andere Vertreter von Minderheiten. 2013 wurde das Projekt von der Stadt Buenos Aires offiziell anerkannt. Seit 2014 erhalten die Lehrer ein festes Gehalt. Aus finanzieller Sicht fehle es immer noch an allen Ecken, sagt Quiñones. Von den Schülern einen Beitrag zu verlangen, sei keine Option. „Viele Transsexuelle haben aus Geldnot nie die Schule abgeschlossen. Das ist eine der vielen Schwellen die wir abbauen wollen, um sie zurück ins Bildungssystem zu holen.“ Maryanne Lettieri unterrichtet in „Mocha Celis“ Englisch und gibt einen Kurs, der auf den Arbeitsmarkt vorbereiten soll. Bewerbungen schreiben und Arbeitsrecht stehen auf dem Stundenplan. Lettieri hat ihr Geschlecht vom Mann zur Frau umgewandelt und ist mit der Diskriminierung vertraut, mit der Transsexuelle zu kämpfen haben. „Was mich an meinem Job hier am meisten motiviert, ist, dass ich meine Schüler bei der sozialen Eingliederung unterstütze“, erklärt sie und schüttelt sich dabei die blondierten Haarsträhnen aus dem Gesicht.

 Englisch-Lehrerin Maryanne Lettieri bereitet sich auf den Unterricht vor.
Englisch-Lehrerin Maryanne Lettieri bereitet sich auf den Unterricht vor.

Job-Vermittlung große Herausforderung

Doch trotz aller Bemühungen des 20-köpfigen Teams von „Mocha Celis“ ist und bleibt es eine große Herausforderung Trans-Menschen in Argentinien einen Job zu vermitteln. Bisher habe der Abschluss erst fünf Absolventen und Absolventinnen aus insgesamt zwei Jahrgängen zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis verholfen. Einige würden an der Uni studieren. Die große Mehrheit bleibe jedoch in ihren prekären Lebensverhältnissen. „Die traurige Realität ist, dass private Firmen einfach keine Transsexuellen oder Transgender anstellen wollen“, sagt Quiñones. Es fehle an politischer Unterstützung. Dolores Olivares Guadalupe kennt das Problem nur zu gut. Sie hat ihren Schulabschluss regulär mit 17 Jahren gemacht. Im selben Jahr zog sie von Zuhause aus und ließ sich in der Küche einer Freundin unter lokaler Betäubung eine Silikon-Mischung in die Brüste spritzen – eine in der Trans-Gemeinde sehr verbreitete, kostengünstige und lebensgefährliche Methode. Im Gegensatz zu einigen Bekannten hat Olivares Guadalupe den Eingriff überlebt und ist heute sehr glücklich mit ihrem Körper. Bei der Jobsuche stand er ihr jedoch immer im Weg.

Dolores Olivares Guadalupe arbeitete wie ein Großteil der Transsexuellen und Transgender in Argentinien in der Prostitution.
Dolores Olivares Guadalupe arbeitete wie ein Großteil der Transsexuellen und Transgender in Argentinien in der Prostitution.

Vom Unterricht zum Strich

„Der Chef eines Restaurants sagt dir natürlich nicht, dass er dich nicht einstellen will, weil er Angst hat, dass du ihm die Kunden vergraulst. Es heißt einfach immer ‚Wir melden uns‘ und dann hörst du nie wieder was“, sagt die 28-Jährige. So kam es, dass sie in die Prostitution abrutschte. Einige Jahre habe sie in einem Bordell gearbeitet, dann auf dem Straßenstrich. „Am Anfang ist es toll. Du kannst dir plötzlich Dinge leisten und ich hab mich mit einigen Freiern natürlich auch sehr amüsiert“, sagt sie.Im Januar letzten Jahres war sie aber physisch und psychisch am Ende. Sie entschied sich, mit der Straßenprostitution aufzuhören. Sie fand Arbeit als Kellnerin in einer Schwulenbar. Empfängt pro Monat aber weiterhin zwei bis drei besonders gut zahlende Kunden. Außerdem spielte sie in dem Film „La Noche“ von Edgardo Castro mit, der auf dem internationalen Filmfestival „Bafici“ einen Preis gewann. Der Großteil der Schülerinnen hat den Strich noch nicht hinter sich gelassen. Als der Unterricht endet, strömen sie aus den Klassenräumen und laufen Richtung U-Bahn. „Für ein Interview habe ich keine Zeit“, ruft eine füllige, stark geschminkte Schülerin. „Die Arbeit ruft.“

17.05.2016, erschienen u.a. im  Mannheimer Morgen und auf heute.de

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